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Katharina Baganz (27)

Für Katharina Baganz stehen in diesem Jahr einige Veränderungen an: Die Bewerbung um einen Platz im Referendariat in Hamburg ist auf dem Weg, und im Juni diesen Jahres ist sie zur 1. Vorsitzenden des Jugend debattiert Alumni e.V. gewählt worden. Welche Pläne Katharina Baganz für den Verein hat, wie Jugend debattiert ihren Lebensweg prägte, und warum die gebürtige Rostockerin privat das Ruder ungern aus der Hand gibt, erzählt sie in unserem Interview.

Jugend debattiert-Lehrerin und ehemalige Teilnehmerin

Ohne Jugend debattiert hätte ich viele Türen nicht entdeckt. Katharina Baganz

Sie unterrichten in Hamburg an zwei Schulen als Lehrbeauftragte, haben Sie dort mit Jugend debattiert zu tun?

Jugend debattiert wird zwar angeboten, aber leider hat das Thema Corona gerade Vorrang. Das ist wirklich schade, aber nachvollziehbar. Auch wenn sich in den Kollegien immer mal ein oder zwei Lehrkräfte mit der entsprechenden Ausbildung finden, braucht es eben ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen, bis sich so ein komplexes Programm wie Jugend debattiert an einer Schule etabliert hat.

Klingt so, als wären Sie auf Jugend debattiert-Entzug…

(lacht) Nein, als 2. Vorsitzende des Jugend debattiert Alumni-Vereins bin ich eigentlich das ganze Jahr über mit dem Thema beschäftigt. Aber natürlich freue ich mich, wenn Corona endlich vorbei ist, und ich mein Referendariat beginnen kann. Ich bin schon gespannt, ob es mich an eine Schule verschlägt, an der Jugend debattiert etabliert ist oder nicht. Beides hätte für mich einen Vorteil: Einerseits wäre es toll, in vorhandene Strukturen zu kommen, anderseits wäre es für mich ein Anreiz, Jugend debattiert an die Schule zu bringen.

Wie sind Sie zu Jugend debattiert gekommen?

Das war eher Zufall. Meine Klassenlehrerin war gleichzeitig Koordinatorin für den Regionalverbund in Rostock. Sie hat Jugend debattiert stark in den Unterricht eingebunden, und so bin ich in den Wahlpflichtunterricht reingerutscht. Dann kam eins zum anderen - und ich nicht mehr davon los...

Was heißt das genau?

Ich habe mich tatsächlich mit der Methode, die wir in der Debatte anwenden, sehr wohl gefühlt. Sie begegnete mir schon damals an vielen Stellen, auch in Deutsch, Geschichte oder Philosophie. Da habe ich gemerkt, dass es übergreifend möglich ist, sich mit diesem Instrument ganz viele Themenbereiche zu erschließen. Dass es dann später mit dem Wettbewerb losging, war eher noch das i-Tüpfelchen, daran hatte ich anfangs überhaupt nicht gedacht, aber es hat dann ja doch ganz gut geklappt…

Sie sind 2009 und 2012 Landessiegerin in Mecklenburg-Vorpommern geworden, wie sind Ihre Erinnerungen?

Die Finaldebatten haben im Schweriner Schloss stattgefunden, das war schon sehr aufregend. Während man sich in der Schule noch in der Aula traf, saßen wir auf einmal dort, wo die Fraktionen tagen und wo echte Politik gemacht wird. Spätestens da hat man gemerkt: „Das ist ja doch eine ganz schön große Nummer hier“.

Debatte als Methode zur Selbstreflexion und zur Demokratiestärkung

Was hat Sie an Jugend debattiert fasziniert, um nach der Schule dabei zu bleiben?

Der Punkt, dass es Menschen gibt, die ähnlich ticken wie ich, weil sie sich gern reflektierend mit Themen auseinandersetzen. Mir ist es zum Beispiel häufig passiert, dass sich Fragen, zu denen mein Bauchgefühl zunächst Ja oder Nein gesagt hatte, nach der Recherche relativiert haben. Ich bin aus der Debatte gegangen und musste feststellen: Okay, jetzt kenne ich beide Seiten, und trotzdem fällt es mir schwer, mich für eine zu entscheiden. Diese Erfahrung in einer größeren Gruppe zu teilen, ist für mich sehr bereichernd. Mit der Zeit habe ich dann beobachtet, dass ich mich durch Jugend debattiert auch als Person weiterentwickelt habe. Irgendwann war es gar nicht mehr so aufwühlend für mich, vor einer größeren Gruppe zu sprechen. Das geht mir heute noch manchmal durch den Kopf, wenn ich Jugend debattiert-Veranstaltungen moderiere, an denen ich Jahre zuvor selbst teilgenommen habe. Im Schweriner Schloss zum Beispiel. Durch all diese Erfahrungen bin ich immer am Ball geblieben.

Sie sind in Rostock geboren und aufgewachsen, Ihre Eltern stammen aus der ehemaligen DDR, einem Staat, in dem die freie Debatte unterbunden wurde. Wie nehmen Ihre Eltern Ihr Engagement für Debatte und Demokratie heute wahr? Ist das überhaupt Thema?

Gute Frage! Ich hatte zuhause nie das Gefühl, das Themen nicht debattiert werden durften.  Das hängt sicher damit zusammen, dass ich viele Jahre mit meiner Mutter allein gelebt habe, weil sich meine Eltern früh trennten. Wir mussten in der Familie also alles untereinander klären, und da wurde auch verhandelt und jeder konnte seine Meinung sagen. Einschränkungen habe ich nicht erfahren. Ich weiß trotzdem, dass meine Mutter sehr stolz auf mich ist, und mein Stiefvater auch.

Haben Sie das Gefühl, dass in Ost und West unterschiedlich debattiert wird? Gerade im Osten hört man ja immer wieder mal der Satz: „Man darf in Deutschland nicht seine Meinung sagen!“

Wenn ich an meine entfernte Verwandtschaft denke, habe ich in den vergangenen Jahren schon gemerkt, dass die Debatten zugespitzter waren, und dass Floskeln, die von populistischer Seite kommen, immer mal aufgeschnappt werden. Es gibt im Osten sicher eher diese Zurückhaltung und das Gefühl: „Meine Meinung ist wenig wert.“ Das ist schade. Bei meinen Freunden und Bekannten aus Schule und Studienzeit habe ich diesen Eindruck nicht, wir haben immer unseren Standpunkt vertreten.

Mit der Zeit habe ich dann beobachtet, dass ich mich durch Jugend debattiert auch als Person weiterentwickelt habe. Katharina Baganz

Haben Sie in der Praxis schon mal die Erfahrung gemacht, dass die Debatte die Demokratie stärken kann?

Ich habe bei einem Zusammentreffen verschiedener Kinder- und Jugendparlamente in Nordrhein-Westfalen für den Alumni-Verein mal einen Workshop gegeben, an dem Schülerinnen und Schüler einer regionalen Schule teilnahmen. Am Ende bekam ich von den Jugendlichen das Feedback, dass sie sich endlich mal wahrgenommen gefühlt hätten. Dass sie ihre Meinung äußern durften, ohne gleich „auf den Deckel zu bekommen“, wie sie es nannten. Das war für mich ein Schlüsselmoment. Das hat mich sehr berührt.

Engagement rund um Jugend debattiert und darüber hinaus

Ein gutes Beispiel ist der Wettbewerb in Sprachlerngruppen, weil hier nicht nur dem Gedanken der politischen Bildung Rechnung getragen wird, sondern weil die Methode auch im Sprachlichen viel Förderung bietet. Katharina Baganz

Sie wurden im Juni 2021 zur 1. Vorsitzenden des Jugend debattiert Alumni e.V. gewählt. Was reizt Sie daran?

Die Position ist eine Fortführung dessen, was wir als Vorstandsteam bereits erarbeitet haben. Lennart Feix, der 1. Vorsitzende, scheidet im Sommer aus und gibt den Staffelstab weiter. Ich freue mich natürlich, dass man mir das Vertrauen ausspricht, gleichzeitig finde ich es eine spannende Aufgabe, den Verein und seine Ziele nochmal neu mitzugestalten und auch eigene Akzente zu setzen. Natürlich gemeinsam mit dem neuen Team, das sich dann zusammenstellen wird.

Welche Pläne haben Sie für den Verein?

Das Thema digitale Vernetzung soll bei uns stärker auf der Agenda stehen. Wir haben während der Corona-Zeit gemerkt, wie gut es tut, sich trotz der Einschränkungen auf Präsenzveranstaltungen zu begegnen, sofern diese möglich waren. Diese Treffen werden auch weiterhin Kern unserer Vereinsarbeit sein. Gleichzeitig brauchen wir digitale Formate, die sie ergänzen. Unser Verein wächst stetig, wir haben Mitglieder aus aller Welt, es gibt den Wettbewerb in Südamerika, den USA, in China und den mittel- und osteuropäischen Ländern. Deshalb möchten wir diejenigen, die nicht mal eben zu einem Treffen nach Deutschland fliegen können oder wollen, digital stärker einbinden. Ich glaube, dass unser Vereinsleben dadurch noch dynamischer wird, weil Begegnungen digital viel spontaner möglich sind.  

Die Mitgliedschaft im Alumni-Verein ist Bundessiegern vorbehalten und Landessiegern, die durch ein besonderes Engagement herausstechen, so wie in Ihrem Fall.

Ich bin natürlich glücklich, dass sich die Satzung vor meinem Eintritt geändert hat, andererseits sollte es praktisch möglich bleiben, ein aktives Vereinsleben zu organisieren. Die ursprüngliche Beitrittsberechtigung ist aus dem Alumni-Programm historisch gewachsen. Ich finde es toll, dass die Satzungsänderung des Vereins, die mittlerweile alle Wettbewerbe von Jugend debattiert einbezieht, nun eine Verknüpfung von Erfolg im Wettbewerb und Engagement herstellt.

Jugend debattiert wird immer mal wieder vorgehalten, dass die Wettbewerbe eher etwas für Gymnasiasten bzw. für „die Elite“ seien? Wie ist Ihre Erfahrung?

Wenn man sich die Zahlen ansieht, dann ist es sicher so. Ich bin aktuell an einer beruflichen Schule tätig und merke, dass Jugend debattiert dort eher keine Rolle spielt, auch wenn im Kollegium gerne wahrgenommen wird, dass ich dazu Expertise habe. Ich glaube, dass die Verbindung mit dem Wettbewerb noch immer stark im Fokus steht, und dass an nichtgymnasialen Schultypen oft die Meinung vorherrscht: „Wieso soll ich die Methode einführen, wenn meine Schülerinnen und Schüler im Wettbewerb ohnehin nicht weiterkommen?“

Ändert sich das nicht gerade?

Ja, das stimmt, und das ist ja auch ein Ziel des Programms. Ich selbst bekomme zunehmend die Rückmeldung, das Jugend debattiert viel mehr ist als der Wettbewerb, weil man eben so viel aus der Methode mitnimmt. Ein gutes Beispiel ist der Wettbewerb in Sprachlerngruppen, weil hier nicht nur dem Gedanken der politischen Bildung Rechnung getragen wird, sondern weil die Methode auch im Sprachlichen viel Förderung bietet.

Sie sind für den Verein sehr aktiv, käme für Sie auch ein politisches Amt in Frage?

Der Gedanke blitzt immer mal wieder auf, aber da ich gerade erst in Hamburg angekommen bin, hat er nicht die oberste Priorität. Dafür bin ich jetzt auch noch zu stark im Verein engagiert.

In wieweit hat ihr Engagement für Jugend debattiert Entscheidungen in Ihrem Leben beeinflusst?

Lehrerin wollte ich schon vor Jugend debattiert werden. Aber der Gedanke, sich zu engagieren, ist stärker daraus erwachsen. Vor allem durch mein Engagement für Jugend debattiert in Mecklenburg-Vorpommern habe ich gemerkt, dass auch andere Menschen davon profitieren. Ich habe so ein tolles Netzwerk für mich aufbauen können, über das sich viele wertvolle Kontakte ergeben haben, zum Beispiel zu anderen Jugendorganisationen. Ohne Jugend debattiert hätte ich diese vielen Türen gar nicht entdeckt. Und wahrscheinlich hätte ich mich auch gar nicht getraut, nach vorn zu treten und mich zu zeigen. Ich war zwar nie eine scheue Person, aber dieses unbekümmerte Auf-Menschen-Zugehen habe ich durch Jugend debattiert gelernt. Das fällt mir immer wieder in der Lehrtätigkeit auf, vor allem in den Unterrichtsgesprächen. Dort lege ich sehr viel Wert darauf, den Schülerinnen und Schülern Raum für eine eigene Meinung zu geben, aber auch selbst ein Feedback zu bekommen. Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit haben, ihre Gedanken zu entfalten, um zu wachsen. Ich selbst bin durch Jugend debattiert sehr gewachsen. Das prägt einen Lebensweg. Hätte ich diese Möglichkeit nicht bekommen, wäre ich vermutlich im Sport meinen Weg gegangen.

In welcher Sportart?

Im Rudern, ich war lange Zeit Leistungssportlerin. Beim Rudern kann ich mich auspowern, bin an der frischen Luft und es geht immer nach vorn. Das liebe ich an diesem Sport.

Dann sind Sie an der Alster ja genau richtig. Sind Sie deshalb von Dresden, wo Sie studiert haben, nach Hamburg gekommen?

Nein, mein Partner hatte hier ein Jobangebot, es war eine gemeinsame Entscheidung. Aber es stimmt, die Dichte an Ruderclubs ist in Hamburg sehr hoch, und ich werde mir auf jeden Fall einen Club suchen, sobald Corona vorbei ist. Ich bin einfach gern in der Natur, mir reicht es schon, nachts irgendwo ein Zelt aufzuschlagen und in den Sternenhimmel zu schauen.

Apropos Blick in die Sterne: Was wünschen Sie Jugend debattiert für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass Jugend debattiert weiterhin diesen großen Zuspruch bekommt. Das Programm soll weiterwachsen, indem noch mehr Menschen eingebunden werden. Es wurde ja bereits erkannt, wohin die Richtung gehen kann, Stichwort: übergreifende Schultypen, aber auch Sprachlerngruppen, damit Jugend debattiert noch inklusiver wird und mehr Zugänge bekommt. Genau davon profitiert das Programm, von den unterschiedlichen Eindrücken, die wir Menschen mitbringen. Wir alle haben unsere eigenen Hintergründe, Prägungen und eine eigene Geschichte. Das ist ja das Wundervolle.


Das Interview führte Rena Beeg

Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit haben, ihre Gedanken zu entfalten, um zu wachsen. Ich selbst bin durch Jugend debattiert sehr gewachsen. Das prägt einen Lebensweg. Katharina Baganz