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Birgit Bergmann (53)

Birgit Bergmann ist ein echtes Urgestein, wenn es um Jugend debattiert geht. Seit Schuljahr 2002/03 engagiert sich die Lehrerin an der August-Benninghaus-Schule in der 7200-Einwohner-Gemeinde Ankum (Niedersachen) für die Debatte. Zudem bildet die 53-Jährige auf Landesebene Lehrkräfte zu Jugend-debattiert-Lehrerinnen und Lehrern aus und koordiniert die Lehrerfortbildungen und Regionalsiegerseminare in Niedersachsen. Wie sich Jugend debattiert in den vergangenen 20 Jahren verändert hat, was das Programm für Lehrkräfte so attraktiv macht, und warum Birgit Bergmann Jugend debattiert insbesondere nichtgymnasialen Schulen ans Herz legt, erzählt sie in unserem Interview.  

Ein Blick auf 20 Jahre Jugend debattiert

Was hat sich bei Jugend debattiert in den vergangenen Jahren verändert?

Der Wettbewerb hat sich viel mehr in die Breite geöffnet, sowohl bei uns in der Schule als auch insgesamt. Während am Anfang nur einzelne Lerngruppen teilnahmen, lernen heute viele Schülerinnen und Schüler Jugend debattiert im Unterricht kennen. Das ist schon mal ein Riesenvorteil! Wenn ich einfach nur einen Wettbewerb anbiete und frage: „Wer hat Lust mitzumachen?“, melden sich vielleicht drei Jugendliche. Heute ist die ganze Klasse dabei, bei uns in Ankum sogar ein ganzer Jahrgang, und jeder hat die Chance, sein Talent und sein Interesse an der Debatte auszuleben und mit dem Wettbewerb zu wachsen. Und dass nicht nur im Wettstreit der Klassen untereinander, sondern sogar bei einem Schulwettbewerb mit Publikum und im Regionalwettbewerb mit anderen Schulen. Das hat eine ganz andere Außenwirkung, die Schülerinnen und Schüler gucken über den Tellerrand hinaus.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Rückbesinnung der Jugendlichen auf ihre eigenen Rechte und Interessen stärker geworden ist. Sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein. Birgit Bergmann

Die Jugendlichen legen die Debattenthemen im Unterricht selbst fest, haben Sie über die Jahre Veränderung festgestellt?

Natürlich gibt es die 20 Jahre alten Klassiker, die auch heute noch vorgeschlagen werden. Zum Beispiel, dass die Schülerinnen und Schüler gern einen späteren Unterrichtsbeginn hätten oder früher den Führerschein machen wollen. Aber mittlerweile geht es auch häufig um den Umweltschutz und das Klima. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Rückbesinnung der Jugendlichen auf ihre eigenen Rechte und Interessen stärker geworden ist. Sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein. Geändert hat sich natürlich auch die Art der Recherche für ein Thema: Während früher in einem Buch geblättert werden musste, hilft heute der schnelle Griff zum Smartphone.    

Was hat Ihrer Erfahrung nach dazu beigetragen, dass Jugend debattiert nun 20 Jahre bundesweit besteht?

Zum einen muss die Idee an sich gut sein, sonst würde sie sich nicht so lange halten. Ein Wettbewerb, der alle Beteiligten nur Kraft und Mühe kostet und sich langweilig unterrichten lässt, stirbt schnell aus. Am Ende sind es ja die Lehrkräfte, die entscheiden, ob sie nach der Fortbildung auch die Energie haben, so eine Unterrichtsreihe plus Wettbewerb nachhaltig umzusetzen. Also hier liegt Jugend debattiert schon mal vorn. Hinzu kommt das sehr gute Backup durch die Ideengeber, also das Büro Jugend debattiert in der Hertie-Stiftung, das von Anfang an dabei ist. Es sorgt stets für eine sehr gute Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen untereinander und stellt das entsprechende Material für den Unterricht zur Verfügung, inzwischen online über das Intranet. Gedruckte Hefte, die man früher eigens zugesandt erhielt, erscheinen heute ganz offiziell in einem Schulbuchverlag. Es sind auch immer neue Methoden entwickelt worden, um die Unterrichtsreihe modern und zeitgemäß zu gestalten, es gibt für Lehrkräfte jederzeit die Möglichkeit, sich fortzubilden oder den Stoff aufzufrischen. Das machen nicht viele Wettbewerbe.  Oft gibt es nur einen Aufschlag, und dann muss man selber laufen. Bei Jugend debattiert hat man eine Basis, die dafür sorgt, immer am Programm dranzubleiben. 

Bedeutung für Schule, Schülerschaft und Lehrkräfte

Welche Relevanz hat Jugend debattiert für Ihre Schule, die ja im ländlichen Raum liegt?

Man kann es nicht über einen Kamm scheren, aber es ist tendenziell wirklich so, dass es auf dem Land etwas verschlafener zugeht. Zum Beispiel gibt es bei uns relativ wenig Schülerinnen und Schüler, die bei Fridays für Future teilnehmen. Das ist in den großen Städten ja komplett anders. Da ist ein Projekt wie Jugend debattiert gut und wichtig, um ein bisschen wachzurütteln und zu sagen: „Ihr könnt auch etwas erreichen und eure Interessen durchsetzen, wenn ihr euch informiert und auf dem Laufenden haltet“. Ich hatte zum Beispiel eine 10. Klasse, in der wir über Plastikmüll debattiert haben, da sind die Schülerinnen und Schüler richtig ins Denken gekommen. Auch in Religion mit den Themen Sterbehilfe und Organspende, die gleichzeitig in den Medien präsent waren. Da merken die Schülerinnen und Schüler dann, dass sie auch mitreden können. Für unsere Schule, die eben eher ländlich liegt und nur bis zur Klasse 10 ausbildet, ist das enorm wichtig. Deshalb möchten wir, dass jeder, der die Schule verlässt, Jugend debattiert kennengelernt hat. Entsprechend viele Lehrkräfte sind dabei und als Projektlehrerinnen- und lehrer ausgebildet. Wir haben gut 20 Kolleginnen und Kollegen, die Jugend debattiert im Unterricht umsetzen. Somit leistet der Wettbewerb auch einen großen Beitrag zur Schulentwicklung.    

Sie bringen Schülerinnen und Schülern Jugend debattiert nahe, bilden aber auch Lehrkräfte zu Jugend debattiert-Programmlehrkräften aus. Mit wem geht es leichter?

Gute Frage. Also bei den Lehrerinnen und Lehrern ist es natürlich toll, dass sie sich freiwillig zur Fortbildung anmelden. Oft heißt es dann: „Und was machen wir nun drei Tage lang?“ Dann gibt es aber so viele praktische Übungen und auch eine große Begeisterung für das Material und das Selbertun, dass am Ende alle sagen: „Ich fühle mich top vorbereitet! Ich weiß, dass ich morgen loslegen kann und habe richtig Lust, das Gelernte auszuprobieren.“ Das ist bei den Schülerinnen und Schülern natürlich nicht immer so, für sie ist das Ganze eine Schulveranstaltung. Aber sobald sie merken, dass es bei Jugend debattiert um ihre Themen geht, sind ihr Interesse und oft auch die Begeisterung geweckt.

Für unsere Schule, die eben eher ländlich liegt und nur bis zur Klasse 10 ausbildet, ist das enorm wichtig. Deshalb möchten wir, dass jeder, der die Schule verlässt, Jugend debattiert kennengelernt hat. Birgit Bergmann

Motivation und Wünsche für Jugend debattiert

Ich finde es bis heute spannend, mit der eigenen Schule nicht im eigenen Saft zu schmoren, sondern gemeinsam mit anderen politisch aktuell etwas zu bewegen. Wir sprechen die Schülerinnen und Schüler mit Jugend debattiert persönlich an und zeigen ihnen, dass wir sie ernst nehmen. Birgit Bergmann

Woher kommt Ihre Motivation, sich für Jugend debattiert zu engagieren?

Ich hatte als Schülerin eine sehr engagierte Lehrerin im Fach Politik, die mir ein bisschen die Augen geöffnet hat, was jeder Mensch in der Welt so bewegen kann. Das fand ich gut.  
Als ich dann damals als Lehrerin auf einem noch schlecht leserlichen Fax die Einladung bekam, bei Jugend debattiert mitzumachen und unsere Schule mit anderen Schulen zu vernetzen, hatte ich wirklich großes Interesse. Ich finde es bis heute spannend, mit der eigenen Schule nicht im eigenen Saft zu schmoren, sondern gemeinsam mit anderen politisch aktuell etwas zu bewegen. Schon bei meiner ersten Fortbildung, die ich jetzt auch anderen Lehrkräften weitervermittele, wurde mir klar, dass Jugend debattiert ein ganz tolles Programm ist. Wir sprechen die Schülerinnen und Schüler damit persönlich an und zeigen ihnen, dass wir sie ernst nehmen. Das war meine Hauptmotivation.

Sie hatten 2016 an Ihrer Schule im Rahmen des Netzwerks „Starke Schule“ Besuch von 16 anderen Schulen, die sehen wollten, wie Sie Jugend debattiert im Unterricht umsetzen. Was machen Sie anders oder besonders gut?

Ich würde nicht behaupten, dass wir es besser machen als andere, aber wir hatten damals eine Kooperation mit einem anderen Projekt der Hertie-Stiftung, „Starke Schule“ - Schulen, die zur Ausbildungsreife führen. Jugend debattiert haben wir als Leuchtturmprojekt vorgestellt. Inzwischen nehmen ja doch viele nichtgymnasiale Schulen am Wettbewerb teil, wobei es aus meiner Sicht noch mehr sein könnten. Leider höre ich von Lehrkräften immer wieder: „Ach, wir müssen im Wettbewerb gegen die Gymnasien antreten, da haben wir doch keine Chance.“ Das bremst mich überhaupt nicht, denn schon die Unterrichtsreihe, in der das Debattieren gelernt wird, bringt den Schülerinnen und Schülern nichtgymnasialer Schulen enorm viel. Dieser Teil des Programms ist für uns fast wichtiger als der Wettbewerb. Und weil es für nichtgymnasiale Schulen nicht so viele Wettbewerbe gibt, an denen sie teilnehmen können, lohnt es sich erst recht, mitzumachen. Diese Erfahrung war für mich die Motivation anderen Schulen zu sagen: „Kommt her, seht euch an, wie es bei uns läuft.“ Den Tag des Besuches werde ich übrigens nie vergessen: Damals hatte ich eine 7. Klasse und einen Schüler mit Förderbedarf, der spontan etwas vortragen sollte. Erst hatte er die Übung vergessen, aber dann stand er da und hat seine Aufgabe vor den ganzen Besuchern richtig toll hinbekommen. Das war ein riesiger Sprung für sein Selbstbewusstsein. Jugend debattiert ist für die Schülerinnen und Schüler einfach ein gutes Training, vor allem, wenn sie sich um einen Ausbildungsplatz bewerben müssen. Man darf nicht vergessen, dass unsere Absolventen jünger sind als Gymnasiasten, wenn es auf den Arbeitsmarkt geht und sie sich präsentieren müssen.

Viele Schüler kommunizieren heute über Emojis und Kurzmitteilungen auf Social-Media-Kanälen. Wie groß ist das Interesse an einer echten Debatte?

Das muss manchmal ein bisschen geweckt werden, aber wenn die Schüler ihre eigenen Themen einbringen können, ist das Interesse schon da. Bei uns haben zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler eines 10. Jahrgangs mit Hilfe der Methoden und Werkzeuge von Jugend debattiert einen eigenen Freizeitraum erkämpft. Die Zehntklässler wollten unbedingt einen Raum für sich. Zunächst hieß es Seitens der Schule: „Nö, das klappt nicht. Ihr macht den nachher kaputt“. Die Schüler ließen nicht locker. In der Gesamtkonferenz haben sie dann einen vernünftigen Antrag gestellt und ihn perfekt in Jugend debattiert-Manier begründet. Bis sie die Zusage bekamen.

Was wünschen Sie Jugend debattiert für die Zukunft? Was soll sich ändern, was soll bleiben?

Vieles läuft wirklich gut. Was auf jeden Fall bleiben sollte, ist der Support im Hintergrund für die Lehrkräfte, so dass man bei Bedarf immer nachfragen kann. Für ein Stiftungsprojekt ist es sehr ungewöhnlich, dass diese Unterstützung über all die Jahre möglich war. Oft wird eine Förderung ja gar nicht mehr verlängert. Das ist bei Jugend debattiert anders, man hat eben erkannt, dass es ein sehr gutes Projekt ist, und denkt nun in längeren Zeiträumen. Mein persönlicher Wunschtraum wäre aber, dass wirklich alle Schulformen gleichermaßen daran teilnehmen. Das ist im Moment natürlich nicht umsetzbar, aber es wäre toll, noch mehr in die Breite zu gehen und gerade nichtgymnasialen Schulen noch stärker reinzunehmen. Sie zu fördern und ihnen deutlich zu machen, dass für sie nicht der Wettbewerb der Schwerpunkt sein muss, sondern die Unterrichtsreihe, in der das Debattieren gelernt und geübt wird, und aus der wir alle so viel rausziehen können. 

Debatte in der Schule und auf Fortbildungen - wie entspannen Sie nach einem langen Tag?

Am liebsten lesend im Garten oder beim Radfahren. Aber ich sitze auch gern mit netten Leuten zusammen und tausche mich zu aktuellen Ereignissen aus. Allerdings in Maßen. Zuhause höre ich schon ab und zu: „Jetzt ist hier nicht Jugend debattiert.“ Aber es ist nun mal mein Herzensthema.

Das Interview führte Rena Beeg