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Jugend debattiert News

Streiten lernen mit dem Conflict Coach

Aus dem Wettbewerb

Konstruktive Debatten sind die Grundlage unseres demokratischen Miteinanders. Was aber, wenn Gesprächspartner nicht an unserer Perspektive interessiert sind oder Fake News und Verschwörungstheorien vertreten? Wie sich auch dann ein produktives Gespräch führen lässt, das kann man seit Ende März mit dem Conflict Coach der Hertie-Stiftung üben. Sophia Becker, Leiterin des Business Council for Democracy, stellt das neue KI-Tool vor.

Wie läuft ein Streit mit der KI ab? 

„Mit dem Conflict Coach kann man Gesprächssituationen simulieren. Dabei gibt mir die KI die Möglichkeit, meine eigene Position zu vertreten oder auch in die Gegenposition zu schlüpfen. Diese Gespräche kann man dann in Gesprächspausen mit dem Coach reflektieren. So wechselt die KI fließend vom Konfliktpartner in die Coach-Rolle. Sie gibt mir direkt Rückmeldung, was in der Situation gerade passiert ist, und zeigt mir, wie ich anders oder deeskalierender hätte reagieren können.

Die KI kann aber auch emotional, kritisch oder sogar ein wenig provokant reagieren – so wie man das in echten Streitgesprächen auch erlebt. Sie bleibt dabei aber immer im sicheren Rahmen: keine persönlichen Angriffe, keine Entgleisungen. Ich habe beim Üben das Gefühl, herausgefordert zu werden, ohne dass ich mich dabei unwohl fühlen muss.“

Wie wurde der Conflict Coach trainiert, was war die Datengrundlage?

„Der Conflict Coach basiert auf der Architektur von ChatGPT also einem Large Language Model, wurde aber speziell für den Einsatz in Konfliktsituationen angepasst. Das Besondere daran ist vor allem die Art der Steuerung durch gezielte Anweisungen und didaktische Vorgaben – also das sogenannte ‚prompting‘. Die Gesprächsführung, die Rollenlogik und das Verhalten in der Simulation wurden mit einer Art ‚mentalem Drehbuch‘ trainiert – also durch systematische Vorgaben, wie die KI auf bestimmte Situationen reagieren soll. Dazu gehört auch die klare Trennung zwischen der Rolle als Konfliktpartner und als Coach, der Reflexionspausen einleitet.“

Was macht so trainierte KI anders als menschliche Gesprächspartner?

„Anders als ein Mensch hat die KI keine eigenen Gefühle, speichert nichts und ist nicht nachtragend. Das macht einen großen Unterschied. Ich kann in einer Übung alles ausprobieren – sogar unangenehme oder extreme Gesprächsrollen – und werde dafür nicht bewertet. Gerade wenn ich zum Beispiel die Gegenposition einnehme, um auf diskriminierende Aussagen vorbereitet zu sein, bleibt die KI völlig neutral. Sie gibt mir dann nicht etwa Feedback zu meinen Aussagen, sondern zeigt mir, wie man auf solche Aussagen reagieren kann. Dieser neutrale Raum macht die Übung extrem effektiv.“

Wie geht die KI genau vor, wenn Personen ausfällig werden oder sich auf Fake News stützen?

„Auch in solchen Situationen bleibt die KI konsequent in ihrer Rolle – aber sie lässt respektloses oder themenfremdes Verhalten nicht einfach durchgehen. Wenn im Gespräch zum Beispiel eine Grenze überschritten wird oder sich jemand auf Falschinformationen beruft, dann unterbricht die KI den Dialog automatisch durch eine sogenannte Reflexionspause. In dieser Pause erklärt sie ruhig, warum die Aussage problematisch war – zum Beispiel, weil sie auf falschen Annahmen beruht oder weil sie verletzend formuliert wurde – und zeigt auf, wie man die Situation anders lösen könnte.

Besonders interessant ist, dass sie bei Fake News oder themenfremden Aussagen auch darauf achtet, die Diskussion wieder klar zum eigentlichen Thema zurückzuführen. Das heißt: Sie geht nicht auf alles ein, sondern wahrt einen inhaltlichen Fokus. Und wenn Unsicherheit besteht, ob etwas noch zur Diskussion gehört, fragt sie gezielt nach. Sie schafft damit einen Rahmen, in dem man sich klar orientieren kann – auch wenn es emotional wird oder das Gespräch entgleist.“

Inwiefern kann der Conflict Coach in alltäglichen Situationen eine Hilfe sein, in denen Menschen schwierige Gespräche zu meistern haben?

„Der Conflict Coach ist besonders dann hilfreich, wenn man sich auf Gespräche vorbereiten möchte, die emotional aufgeladen sind oder bei denen unterschiedliche Meinungen schnell zu Streit führen können – sei es im privaten Umfeld, im Beruf oder in gesellschaftlichen Diskussionen. Oft wissen wir schon im Vorfeld, dass ein Gespräch schwierig werden könnte, zum Beispiel mit einem Kollegen, der ständig unterbricht, einem Familienmitglied mit festgefahrenen Ansichten oder bei Themen wie Gendern, Migration oder Klimawandel.

Der Conflict Coach hilft dabei, solche Situationen im Vorfeld durchzuspielen – realistisch, aber in einem geschützten Rahmen. Ich kann dabei verschiedene Gesprächsverläufe ausprobieren, herausfinden, was eskalierend wirkt, und trainieren, wie ich ruhig und klar bleibe, auch wenn der andere emotional wird. Ich kann mir gezielt Gesprächspartner, Themen und sogar das Konfliktniveau aussuchen – und trainiere so genau die Kommunikationsfähigkeiten, die ich im Alltag oft brauche: zuhören, Klarheit behalten, deeskalieren und gleichzeitig bei meiner Haltung bleiben.“

Kann die KI die gesellschaftliche Debattenkultur verbessern?

„Der Conflict Coach kann tatsächlich einen Beitrag zur Verbesserung der Debattenkultur leisten – vor allem durch seine Rolle als Trainingspartner. Viele Menschen möchten konstruktiv diskutieren, fühlen sich aber in echten Debatten schnell überfordert, angegriffen oder sprachlos. Die KI bietet hier einen geschützten Raum, in dem man schwierige Gespräche üben, Standpunkte schärfen und deeskalierende Strategien entwickeln kann. Sie hilft dabei, den eigenen Kommunikationsstil zu reflektieren, sich auf Argumente statt Emotionen zu konzentrieren und respektvoller mit Gegenpositionen umzugehen. Gerade in einer Zeit, in der Debatten oft polarisieren, kann so eine Form des Trainings helfen, die eigene Dialogfähigkeit zu stärken und damit auch im echten Leben besser auf schwierige Gespräche vorbereitet zu sein.“

Wann kommt die KI an ihre Grenzen?

„Der Conflict Coach kann nicht spontan auf nonverbale Signale reagieren, keine echte Beziehung aufbauen und keine gesellschaftlichen Machtverhältnisse oder emotionalen Verletzungen vollständig nachempfinden. Und: Er ersetzt auch nicht die persönliche Auseinandersetzung oder Verantwortung. Er ist ein Werkzeug – und wie bei jedem Werkzeug hängt der Erfolg davon ab, wie man es nutzt.“

 

Sophia Becker leitet den Business Council for Democracy der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.

Der Conflict Coach ist kostenfrei über ChatGPT zugänglich: Der Link ist auf der Website des Business Council for Democracy (BC4D) abrufbar. Entwickelt wurde er in Zusammenarbeit des BC4D mit dem BdKom und der Rlvnt GmbH. Nutzende mit einem Pro-Account können ihn sogar im Voice-Modus in Echtzeit anwenden. Für Unternehmen bietet der BC4D eine eigene Webversion, die unabhängig von ChatGPT funktioniert. Bei Interesse können sich Unternehmen per E-Mail an info@bc4d.org wenden.

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